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31.03.2015 10:23 Uhr | Quelle: WahreTabelle

„Ober-Schiedsrichter? Wer soll das denn bitte sein?“

WahreTabelle exklusiv: Interview mit Referee-Legende Hellmut Krug.

Hellmut Krug
Quelle: WahreTabelle / Transfermarkt.de
Kompetent und unterhaltsam: Hellmut Krug während seines Besuchs bei WahreTabelle im März 2015 in Hamburg.

Eigentlich ist er Lehrer für Sport und Griechisch, doch Hellmut Krug (58) wurde ab 1984 einer der renommiertesten Schiedsrichter der Welt. In der Saison 1984/85 stieg der gebürtige Gelsenkirchener in die 2. Bundesliga auf. Ab 1986 leitete er Spiele in der Bundesliga, bis zu seinem Ausstieg 2003 pfiff Krug 240 Partien. Der vierfache „Schiedsrichter des Jahres in Deutschland“ (1994, 1999, 2002, 2003) war ab 1991 FIFA-Referee und 1994 deutscher Unparteiischer bei der Weltmeisterschaft in den USA und pfiff 1998 das Champions-League-Finale in Amsterdam zwischen Real Madrid und Juventus Turin (1:0). Seit 2007 ist Hellmut Krug Schiedsrichter-Manager bei der DFL Deutsche Fußball Liga.

Im Exklusiv-Interview mit WahreTabelle-Redakteur Carsten Germann spricht der ehemalige FIFA-Referee über Sinn und Unsinn der „Dreifachbestrafung“, übertriebenen Torjubel, Videobeweis und die Szene, die ihn selbst in jeden Bundesliga-Rückblick brachte.

WahreTabelle: Herr Krug, seit 2007 sind Sie Schiedsrichter-Manager bei der DFL. Wie sehen Sie die aktuelle Situation der Schiedsrichter in der Bundesliga? Haben es die Referees schwerer als früher?
Hellmut Krug: Nein, die Spiele sind heute nicht unbedingt schwerer zu leiten. Wir leben allerdings in einer Fernsehwelt, in der jede einzelne Entscheidung des Schiedsrichters aufgedröselt wird. Zwar hilft das Fernsehen dem Schiedsrichter auf der einen Seite häufig, weil viele Entscheidungen sich im Nachhinein als richtig herausstellen. Auf der anderen Seite bleibt aber auch kein Fehler verborgen. Das erhöht den Druck auf die Schiedsrichter gewaltig.

WahreTabelle: Also schon ein massiver Einfluss der Medien..?
Krug: Ja, aber in dieser Hinsicht kann man den Medien keinen Vorwurf machen. Das ist ein Phänomen unserer Zeit.
 

WahreTabelle: Zuletzt gab es massive Kritik an den Schiedsrichtern, unter anderem aufgrund der Handspiel-Regelung, der „Dreifach-Bestrafung“. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Krug: Tatsächlich im Bereich der „Dreifach-Bestrafung“. Seit Jahren wird diese Regelung kritisiert. Leider war die FIFA bislang nicht bereit, den Wünschen der Verbände entgegen zu kommen. Das erschwert den Schiedsrichtern die Situation unnötigerweise.

WahreTabelle: Diese Regeländerung ist beim letzten Treffen der FIFA-Regelhüter im Februar leider nicht zustande gekommen…
Krug: Nein, leider nicht. Ich bin seit 2003 im Schiedsrichterbereich tätig und seit dieser Zeit unternehmen Nationalverbände Vorstöße bei der FIFA, diese Situation zu ändern. Beispiel: Selbst Franz Beckenbauer war 2014 in einer Arbeitsgruppe, der „Task Force 2014“ und konnte keine Änderung herbeiführen. Das ist bedauerlich.

WahreTabelle: Was war die kniffligste Situation für Sie im noch jungen Fußballjahr 2015?
Krug: Da kann ich nichts herausstellen. Wir arbeiten alle kritischen Situationen mit den Schiedsrichtern thematisch auf.

WahreTabelle: Bei WahreTabelle war die Elfmeter-Szene mit Bayern-München-Stürmer Robert Lewandowski in Hannover die Situation, die mit mehr als 50 Seiten Nutzer-Kommentaren am heftigsten diskutiert wurde…
Krug:
Das wundert mich nicht, weil dies leider eine klare Fehlentscheidung war. Gerade dieses Bundesliga-Wochenende war eines, mit dem wir in der Schiedsrichterführung absolut nicht zufrieden waren. Der Schiedsrichter (Tobias Welz aus Wiesbaden, d. Red.) hat nicht realisiert, dass Lewandowski den Kopf zu weit unten hatte, also gefährlich gegen sich selbst gespielt und sich demzufolge selbst regelwidrig verhalten hatte.

WahreTabelle: Stichwort „Torjubel“. Wir hatten „Batman & Robin“ in Dortmund, den „Geißbock-Jubel“ in Köln, bei solchen Situationen hat man immer wieder den Eindruck, dass es den Schiedsrichtern an „Fingerspitzengefühl“ fehlt...
Krug:
Das hat mit Fingerspitzengefühl überhaupt nichts zu tun. Hier muss die Öffentlichkeit auch einmal akzeptieren, dass es klare Regeln gibt. Gegen den Jubel mit dem Geißbock hat niemand etwas (außer vielleicht Tierschützer lacht), aber wenn Spieler beim Jubeln auf den Zaun klettern oder sich eine Maske aufsetzen, dann sind sie laut Regelwerk zwingend zu verwarnen. Die Spieler müssen das wissen und beurteilen, ob sie die Gelbe Karte in Kauf nehmen.

WahreTabelle: Sehen Sie das Thema „Schiedsrichter“ heute medial stärker beachtet als früher?
Krug:
Ja, aber das ist zwangsläufig so. Der Fußball ist zum Mittelpunkt der Sportwelt geworden. Dass dann die Schiedsrichter dabei eine besondere Rolle spielen, ist völlig normal.

WahreTabelle: Wie stehen Sie zu der immer wieder geforderten Einführung des Profi-Schiedsrichterwesens?
Krug:
Der Weg zum Profi-Schiedsrichter wäre nur sinnvoll, wenn sichergestellt sein würde, dass der Profi-Schiedsrichter besser wäre. Es gibt allerdings unseres Erachtens mehr Argumente, die gegen den Profi-Schiedsrichter sprechen.

WahreTabelle: Können Sie einige nennen?
Krug:
Wenn Sie als Berufsschiedsrichter eines oder vielleicht sogar mehrere schlechte Spiele abliefern, könnte auch sehr schnell das Damoklesschwert der drohenden Arbeitslosigkeit über dem Kopf des Schiedsrichters schweben. Ich glaube nicht, dass das leistungsfördernd ist. Die Schiedsrichter sollen und müssen beruflich ein zweites Standbein haben. Sie müssen wissen, dass sie aufgefangen werden, wenn sie als Schiedsrichter nicht mehr weiterkommen oder gar scheitern. Darüber hinaus stellt sich die Frage der Bezahlung: Ein Schiedsrichter müsste dann ja theoretisch so gut bezahlt werden wie ein Profi-Fußballer. Das ist nicht realistisch. Auch stellt sich beispielsweise die Frage, was ein Schiedsrichter mit dem Erreichen der Altersgrenze machen soll.

WahreTabelle: Also bringt es für einen Schiedsrichter nichts, diese Tätigkeit als „Full-Time-Job“ auszuüben?
Krug:
Nein. Ein Schiedsrichter muss sich auch mit anderen Dingen beschäftigen, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Er kann nicht mehrmals täglich jeder Woche trainieren und ständig geschult werden. Es muss für ihn ein anderes Leben neben dem Schiedsrichtern geben. Aber er muss auch dafür Sorge tragen, kurzfristig einsetzbar und verfügbar zu sein. Dazu wird er sich im Regelfall beruflich einschränken müssen.

WahreTabelle: Zucken Sie manchmal zusammen, wenn Schiedsrichter nach einem heftig diskutierten Spiel vor die Kamera treten?
Krug:
Die Schiedsrichter können selbst entscheiden, ob sie sich äußern oder nicht. In der Regel geschieht das nach Rücksprache mit der Schiedsrichterführung, denn es wäre nicht sinnvoll, jede strittige Entscheidung vor der Kamera zu erläutern. Nach einer Fehlentscheidung ist es ohnehin kein Vergnügen für einen Schiedsrichter, diese vor der Kamera zugeben zu müssen.

WahreTabelle: Wie stehen Sie zum Videobeweis im Fußball?
Krug:
Das haben wir nicht in der Hand. Das muss die FIFA entscheiden. So lange die FIFA hier kein grünes Licht gibt, werden wir uns damit nicht intensiv auseinandersetzen. Tests in Holland oder in anderen Ligen laufen bereits. Man muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass beim Videobeweis die Entscheidung vom Platz lediglich auf eine andere Ebene verlagert wird.

WahreTabelle: …zum so genannten „Ober-Schiedsrichter“.
Krug:
Ja. Aber wer soll das sein, bitte? Wen wollen Sie da hinsetzen? Außerdem haben wir es in der Mehrzahl mit diskutablen Entscheidungen zu tun, nicht mit sogenannten klaren Fehlentscheidungen. Und dann stellte sich die Frage, wer definiert, wann es sich um eine klare Fehlentscheidung handelt. Also eine Menge offene Fragen.

WahreTabelle: Dieses Prinzip funktioniert allerdings in anderen Sportarten…
Krug:
Ja, aber bei anderen Sportarten ist auch das Regelwerk anders als im Fußball. Und diese Sportarten stehen auch nicht so sehr im Fokus, Eishockey wäre hierfür ein gutes Beispiel. Da gibt es trotz des Videobeweises oft sehr kritikwürdige Entscheidungen. Prinzipiell sagen wir nicht, dass es den Videobeweis im Fußball nie geben wird, aber wir müssen die Entscheidung der FIFA abwarten.

WahreTabelle: Werder Bremens Sportdirektor Thomas Eichin sorgte vor kurzem mit seinen Aussagen über eine angebliche „Bevorzugung“ des FC Bayern München durch die Schiedsrichter für viel Wirbel. Haben Sie auch das Gefühl, dass bei Beteiligung des FC Bayern der Respekt vor den Spielern größer ist oder dass gar mit zweierlei Maß gemessen wird?
Krug:
Bayern München wird von der Öffentlichkeit immer besonders wahrgenommen. Wenn bei Bayern München ein Spieler oder Trainer auffällt, wird das in ganz vielen Fällen anders dargestellt, als bei anderen Vereinen. Denken Sie an Pep Guardiola. Er ist die Seitenlinie hochgerannt, hat den Assistenten nach einer Entscheidung befragt, es gab ein Riesen-Theater in der Öffentlichkeit. Es ist noch nicht lange her, da hat Armin Veh das Gleiche gemacht. Aber als er zum Assistenten die Linie hoch rannte, da hat kein Mensch drüber gesprochen. Wir behandeln jeden Klub gleich. Alles andere wird von außen hinein interpretiert. Schiedsrichter können es sich nicht leisten, bei Klubs Unterschiede zu machen.

WahreTabelle: Wie sieht ein Bundesliga-Wochenende für Sie aus?
Krug
(lacht): Es ist reichlich gefüllt mit Fußball. Zum einen, weil ich mir an jedem Wochenende einen Schiedsrichter live im Stadion ansehe, zum anderen, weil wir in der Schiedsrichterführung versuchen, so viel wie möglich aus allen Spielen zu sehen, selbstverständlich auch in den Zusammenschnitten bei ARD, ZDF und Sport 1. Wir analysieren kritische Entscheidungen und  stimmen uns am Wochenende mehrfach untereinander ab.

WahreTabelle: Was passiert nach dem Abpfiff eines Bundesliga-Spiels? Ist dann im wahrsten Sinne des Wortes alles vorbei?
Krug:
Nein. Bei jedem Spiel ist ein offizieller Beobachter im Stadion. Dieser analysiert mit dem Schiedsrichterteam das Spiel, stellt die wichtigsten Punkte im positiven und im negativen Sinne heraus. Der Schiedsrichter bekommt dann bis zum folgenden Dienstag eine schriftliche Beurteilung in Form eines  Beurteilungsbogens mit Note. Darüber hinaus hat jeder Schiedsrichter einen persönlichen Coach, der mit ihm unter der Woche das vergangene Spiel noch einmal intensiv nachbereitet. So bleibt nichts offen, das möglicherweise für die weitere Entwicklung des Schiedsrichters wichtig ist.

WahreTabelle: Wie einsichtig sind die Bundesliga-Referees?
Krug:
Es ist immer schwer, sich mit eigenen Fehlern auseinander zu setzen, aber die Schiedsrichter sind das gewohnt. Sie müssen wissen, dass sie nie fehlerfrei sein werden, solange sie aktiv sind. Es geht nicht um das „Aufzählen“ von Fehlern, sondern insbesondere darum, Fehlervermeidungsstrategien zu entwickeln.

WahreTabelle: Sie selbst haben als Schiedsrichter viele große Spiele geleitet. Welche Anekdoten und welche Begegnungen mit besonderen Spielern sind Ihnen in Erinnerung geblieben?
Krug:
Die Spiele, die die höchste sportliche Bedeutung hatten, sind für mich auch am intensivsten in meiner Erinnerung geblieben. Das war das Champions-League-Endspiel 1998, die Weltmeisterschaft 1994 und das DFB-Pokalfinale. Dieses Finale ist etwas Besonderes für einen Schiedsrichter, weil er es in der Regel selten öfter als einmal leiten darf.

WahreTabelle: Es gibt wohl keinen Bundesliga-Rückblick ohne die Szene mit dem schimpfenden Lothar Matthäus, der sich 1994 nach einem Spiel in Karlsruhe vor laufender TV-Kamera über Sie beschwert hat, Ihnen indirekt Bestechung unterstellt hat. Es gab eine Menge Wirbel, der FC Bayern wollte Sie danach nicht mehr als Spielleiter akzeptieren. Gab es eine Aussprache mit Lothar Matthäus und den Münchnern?
Krug:
Nein, die hat es nie gegeben. Wir sind uns irgendwann wieder über den Weg gelaufen, sowohl Lothar Matthäus als auch Uli Hoeneß. Wir haben heute ein völlig normales Verhältnis.

WahreTabelle: Hat Sie das damals als Schiedsrichter getroffen?
Krug:
Das war für mich eine unangenehme Zeit, weil ich das Gefühl hatte, dass über diesen „Streit“, Krug gegen Bayern München, wochenlang berichtet wurde. Ich weiß noch, als ich nach Hause kam, war mein Anrufbeantworter voll mit „Liebesschwüren“ – da waren auch Morddrohungen dabei. Das war der Moment, ab dem meine Telefonnummer dann nicht mehr öffentlich war.

WahreTabelle: Gab es auch Situationen, in denen Sie als Schiedsrichter gesagt haben: ,,Da habe ich mich geirrt“?
Krug:
Ja, die gab es (lacht) und einmal lag ich sogar komplett daneben. Das habe ich natürlich auch dem Sportgericht gegenüber eingestanden. Beim Spiel Hamburg gegen Kaiserslautern habe ich mit Sergej Barbarez den falschen Spieler nach einem Kopfstoß vom Platz gestellt. Der Spieler wurde natürlich hinterher freigesprochen…

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Eigentlich ist er Lehrer für Sport und Griechisch, doch Hellmut Krug (58) wurde ab 1984 einer der renommiertesten Schiedsrichter der Welt. In der Saison 1984/85 stieg der gebürtige Gelsenkirchener in die 2. Bundesliga auf. Ab 1986 leitete er Spiele in der Bundesliga, bis zu seinem Ausstieg 2003 pfiff Krug 240 Partien. Der vierfache „Schiedsrichter des Jahres in Deutschland“ (1994, 1999, 2002, 2003) war ab 1991 FIFA-Referee und 1994 deutscher Unparteiischer bei der Weltmeisterschaft in den USA und pfiff 1998 das Champions-League-Finale in Amsterdam zwischen Real Madrid und Juventus Turin (1:0). Seit 2007 ist Hellmut Krug Schiedsrichter-Manager bei der DFL Deutsche Fußball Liga.

Im Exklusiv-Interview mit WahreTabelle-Redakteur Carsten Germann spricht der ehemalige FIFA-Referee über Sinn und Unsinn der „Dreifachbestrafung“, übertriebenen Torjubel, Videobeweis und die Szene, die ihn selbst in jeden Bundesliga-Rückblick brachte.

WahreTabelle: Herr Krug, seit 2007 sind Sie Schiedsrichter-Manager bei der DFL. Wie sehen Sie die aktuelle Situation der Schiedsrichter in der Bundesliga? Haben es die Referees schwerer als früher?
Hellmut Krug: Nein, die Spiele sind heute nicht unbedingt schwerer zu leiten. Wir leben allerdings in einer Fernsehwelt, in der jede einzelne Entscheidung des Schiedsrichters aufgedröselt wird. Zwar hilft das Fernsehen dem Schiedsrichter auf der einen Seite häufig, weil viele Entscheidungen sich im Nachhinein als richtig herausstellen. Auf der anderen Seite bleibt aber auch kein Fehler verborgen. Das erhöht den Druck auf die Schiedsrichter gewaltig.

WahreTabelle: Also schon ein massiver Einfluss der Medien..?
Krug: Ja, aber in dieser Hinsicht kann man den Medien keinen Vorwurf machen. Das ist ein Phänomen unserer Zeit.
 

WahreTabelle: Zuletzt gab es massive Kritik an den Schiedsrichtern, unter anderem aufgrund der Handspiel-Regelung, der „Dreifach-Bestrafung“. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Krug: Tatsächlich im Bereich der „Dreifach-Bestrafung“. Seit Jahren wird diese Regelung kritisiert. Leider war die FIFA bislang nicht bereit, den Wünschen der Verbände entgegen zu kommen. Das erschwert den Schiedsrichtern die Situation unnötigerweise.

WahreTabelle: Diese Regeländerung ist beim letzten Treffen der FIFA-Regelhüter im Februar leider nicht zustande gekommen…
Krug: Nein, leider nicht. Ich bin seit 2003 im Schiedsrichterbereich tätig und seit dieser Zeit unternehmen Nationalverbände Vorstöße bei der FIFA, diese Situation zu ändern. Beispiel: Selbst Franz Beckenbauer war 2014 in einer Arbeitsgruppe, der „Task Force 2014“ und konnte keine Änderung herbeiführen. Das ist bedauerlich.

WahreTabelle: Was war die kniffligste Situation für Sie im noch jungen Fußballjahr 2015?
Krug: Da kann ich nichts herausstellen. Wir arbeiten alle kritischen Situationen mit den Schiedsrichtern thematisch auf.

WahreTabelle: Bei WahreTabelle war die Elfmeter-Szene mit Bayern-München-Stürmer Robert Lewandowski in Hannover die Situation, die mit mehr als 50 Seiten Nutzer-Kommentaren am heftigsten diskutiert wurde…
Krug:
Das wundert mich nicht, weil dies leider eine klare Fehlentscheidung war. Gerade dieses Bundesliga-Wochenende war eines, mit dem wir in der Schiedsrichterführung absolut nicht zufrieden waren. Der Schiedsrichter (Tobias Welz aus Wiesbaden, d. Red.) hat nicht realisiert, dass Lewandowski den Kopf zu weit unten hatte, also gefährlich gegen sich selbst gespielt und sich demzufolge selbst regelwidrig verhalten hatte.

WahreTabelle: Stichwort „Torjubel“. Wir hatten „Batman & Robin“ in Dortmund, den „Geißbock-Jubel“ in Köln, bei solchen Situationen hat man immer wieder den Eindruck, dass es den Schiedsrichtern an „Fingerspitzengefühl“ fehlt...
Krug:
Das hat mit Fingerspitzengefühl überhaupt nichts zu tun. Hier muss die Öffentlichkeit auch einmal akzeptieren, dass es klare Regeln gibt. Gegen den Jubel mit dem Geißbock hat niemand etwas (außer vielleicht Tierschützer lacht), aber wenn Spieler beim Jubeln auf den Zaun klettern oder sich eine Maske aufsetzen, dann sind sie laut Regelwerk zwingend zu verwarnen. Die Spieler müssen das wissen und beurteilen, ob sie die Gelbe Karte in Kauf nehmen.

WahreTabelle: Sehen Sie das Thema „Schiedsrichter“ heute medial stärker beachtet als früher?
Krug:
Ja, aber das ist zwangsläufig so. Der Fußball ist zum Mittelpunkt der Sportwelt geworden. Dass dann die Schiedsrichter dabei eine besondere Rolle spielen, ist völlig normal.

WahreTabelle: Wie stehen Sie zu der immer wieder geforderten Einführung des Profi-Schiedsrichterwesens?
Krug:
Der Weg zum Profi-Schiedsrichter wäre nur sinnvoll, wenn sichergestellt sein würde, dass der Profi-Schiedsrichter besser wäre. Es gibt allerdings unseres Erachtens mehr Argumente, die gegen den Profi-Schiedsrichter sprechen.

WahreTabelle: Können Sie einige nennen?
Krug:
Wenn Sie als Berufsschiedsrichter eines oder vielleicht sogar mehrere schlechte Spiele abliefern, könnte auch sehr schnell das Damoklesschwert der drohenden Arbeitslosigkeit über dem Kopf des Schiedsrichters schweben. Ich glaube nicht, dass das leistungsfördernd ist. Die Schiedsrichter sollen und müssen beruflich ein zweites Standbein haben. Sie müssen wissen, dass sie aufgefangen werden, wenn sie als Schiedsrichter nicht mehr weiterkommen oder gar scheitern. Darüber hinaus stellt sich die Frage der Bezahlung: Ein Schiedsrichter müsste dann ja theoretisch so gut bezahlt werden wie ein Profi-Fußballer. Das ist nicht realistisch. Auch stellt sich beispielsweise die Frage, was ein Schiedsrichter mit dem Erreichen der Altersgrenze machen soll.

WahreTabelle: Also bringt es für einen Schiedsrichter nichts, diese Tätigkeit als „Full-Time-Job“ auszuüben?
Krug:
Nein. Ein Schiedsrichter muss sich auch mit anderen Dingen beschäftigen, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Er kann nicht mehrmals täglich jeder Woche trainieren und ständig geschult werden. Es muss für ihn ein anderes Leben neben dem Schiedsrichtern geben. Aber er muss auch dafür Sorge tragen, kurzfristig einsetzbar und verfügbar zu sein. Dazu wird er sich im Regelfall beruflich einschränken müssen.

WahreTabelle: Zucken Sie manchmal zusammen, wenn Schiedsrichter nach einem heftig diskutierten Spiel vor die Kamera treten?
Krug:
Die Schiedsrichter können selbst entscheiden, ob sie sich äußern oder nicht. In der Regel geschieht das nach Rücksprache mit der Schiedsrichterführung, denn es wäre nicht sinnvoll, jede strittige Entscheidung vor der Kamera zu erläutern. Nach einer Fehlentscheidung ist es ohnehin kein Vergnügen für einen Schiedsrichter, diese vor der Kamera zugeben zu müssen.

WahreTabelle: Wie stehen Sie zum Videobeweis im Fußball?
Krug:
Das haben wir nicht in der Hand. Das muss die FIFA entscheiden. So lange die FIFA hier kein grünes Licht gibt, werden wir uns damit nicht intensiv auseinandersetzen. Tests in Holland oder in anderen Ligen laufen bereits. Man muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass beim Videobeweis die Entscheidung vom Platz lediglich auf eine andere Ebene verlagert wird.

WahreTabelle: …zum so genannten „Ober-Schiedsrichter“.
Krug:
Ja. Aber wer soll das sein, bitte? Wen wollen Sie da hinsetzen? Außerdem haben wir es in der Mehrzahl mit diskutablen Entscheidungen zu tun, nicht mit sogenannten klaren Fehlentscheidungen. Und dann stellte sich die Frage, wer definiert, wann es sich um eine klare Fehlentscheidung handelt. Also eine Menge offene Fragen.

WahreTabelle: Dieses Prinzip funktioniert allerdings in anderen Sportarten…
Krug:
Ja, aber bei anderen Sportarten ist auch das Regelwerk anders als im Fußball. Und diese Sportarten stehen auch nicht so sehr im Fokus, Eishockey wäre hierfür ein gutes Beispiel. Da gibt es trotz des Videobeweises oft sehr kritikwürdige Entscheidungen. Prinzipiell sagen wir nicht, dass es den Videobeweis im Fußball nie geben wird, aber wir müssen die Entscheidung der FIFA abwarten.

WahreTabelle: Werder Bremens Sportdirektor Thomas Eichin sorgte vor kurzem mit seinen Aussagen über eine angebliche „Bevorzugung“ des FC Bayern München durch die Schiedsrichter für viel Wirbel. Haben Sie auch das Gefühl, dass bei Beteiligung des FC Bayern der Respekt vor den Spielern größer ist oder dass gar mit zweierlei Maß gemessen wird?
Krug:
Bayern München wird von der Öffentlichkeit immer besonders wahrgenommen. Wenn bei Bayern München ein Spieler oder Trainer auffällt, wird das in ganz vielen Fällen anders dargestellt, als bei anderen Vereinen. Denken Sie an Pep Guardiola. Er ist die Seitenlinie hochgerannt, hat den Assistenten nach einer Entscheidung befragt, es gab ein Riesen-Theater in der Öffentlichkeit. Es ist noch nicht lange her, da hat Armin Veh das Gleiche gemacht. Aber als er zum Assistenten die Linie hoch rannte, da hat kein Mensch drüber gesprochen. Wir behandeln jeden Klub gleich. Alles andere wird von außen hinein interpretiert. Schiedsrichter können es sich nicht leisten, bei Klubs Unterschiede zu machen.

WahreTabelle: Wie sieht ein Bundesliga-Wochenende für Sie aus?
Krug
(lacht): Es ist reichlich gefüllt mit Fußball. Zum einen, weil ich mir an jedem Wochenende einen Schiedsrichter live im Stadion ansehe, zum anderen, weil wir in der Schiedsrichterführung versuchen, so viel wie möglich aus allen Spielen zu sehen, selbstverständlich auch in den Zusammenschnitten bei ARD, ZDF und Sport 1. Wir analysieren kritische Entscheidungen und  stimmen uns am Wochenende mehrfach untereinander ab.

WahreTabelle: Was passiert nach dem Abpfiff eines Bundesliga-Spiels? Ist dann im wahrsten Sinne des Wortes alles vorbei?
Krug:
Nein. Bei jedem Spiel ist ein offizieller Beobachter im Stadion. Dieser analysiert mit dem Schiedsrichterteam das Spiel, stellt die wichtigsten Punkte im positiven und im negativen Sinne heraus. Der Schiedsrichter bekommt dann bis zum folgenden Dienstag eine schriftliche Beurteilung in Form eines  Beurteilungsbogens mit Note. Darüber hinaus hat jeder Schiedsrichter einen persönlichen Coach, der mit ihm unter der Woche das vergangene Spiel noch einmal intensiv nachbereitet. So bleibt nichts offen, das möglicherweise für die weitere Entwicklung des Schiedsrichters wichtig ist.

WahreTabelle: Wie einsichtig sind die Bundesliga-Referees?
Krug:
Es ist immer schwer, sich mit eigenen Fehlern auseinander zu setzen, aber die Schiedsrichter sind das gewohnt. Sie müssen wissen, dass sie nie fehlerfrei sein werden, solange sie aktiv sind. Es geht nicht um das „Aufzählen“ von Fehlern, sondern insbesondere darum, Fehlervermeidungsstrategien zu entwickeln.

WahreTabelle: Sie selbst haben als Schiedsrichter viele große Spiele geleitet. Welche Anekdoten und welche Begegnungen mit besonderen Spielern sind Ihnen in Erinnerung geblieben?
Krug:
Die Spiele, die die höchste sportliche Bedeutung hatten, sind für mich auch am intensivsten in meiner Erinnerung geblieben. Das war das Champions-League-Endspiel 1998, die Weltmeisterschaft 1994 und das DFB-Pokalfinale. Dieses Finale ist etwas Besonderes für einen Schiedsrichter, weil er es in der Regel selten öfter als einmal leiten darf.

WahreTabelle: Es gibt wohl keinen Bundesliga-Rückblick ohne die Szene mit dem schimpfenden Lothar Matthäus, der sich 1994 nach einem Spiel in Karlsruhe vor laufender TV-Kamera über Sie beschwert hat, Ihnen indirekt Bestechung unterstellt hat. Es gab eine Menge Wirbel, der FC Bayern wollte Sie danach nicht mehr als Spielleiter akzeptieren. Gab es eine Aussprache mit Lothar Matthäus und den Münchnern?
Krug:
Nein, die hat es nie gegeben. Wir sind uns irgendwann wieder über den Weg gelaufen, sowohl Lothar Matthäus als auch Uli Hoeneß. Wir haben heute ein völlig normales Verhältnis.

WahreTabelle: Hat Sie das damals als Schiedsrichter getroffen?
Krug:
Das war für mich eine unangenehme Zeit, weil ich das Gefühl hatte, dass über diesen „Streit“, Krug gegen Bayern München, wochenlang berichtet wurde. Ich weiß noch, als ich nach Hause kam, war mein Anrufbeantworter voll mit „Liebesschwüren“ – da waren auch Morddrohungen dabei. Das war der Moment, ab dem meine Telefonnummer dann nicht mehr öffentlich war.

WahreTabelle: Gab es auch Situationen, in denen Sie als Schiedsrichter gesagt haben: ,,Da habe ich mich geirrt“?
Krug:
Ja, die gab es (lacht) und einmal lag ich sogar komplett daneben. Das habe ich natürlich auch dem Sportgericht gegenüber eingestanden. Beim Spiel Hamburg gegen Kaiserslautern habe ich mit Sergej Barbarez den falschen Spieler nach einem Kopfstoß vom Platz gestellt. Der Spieler wurde natürlich hinterher freigesprochen…

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