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29.12.2015 18:09 Uhr | Quelle: WahreTabelle

„Benjamin Brand hat das Zeug zum Spitzen-Schiedsrichter“

Interview: WahreTabelle-Kolumnist Johannes Gründel blickt auf 2015 zurück.

Johannes Gründel
Johannes Gründel
Brand / Gladbach
Quelle: Imago Sportfoto
Schiedsrichter Benjamin Brand leitete mit der Partie Borussia Mönchengladbach – Darmstadt 98 das letzte Bundesliga-Spiel im Jahr 2015.

Johannes Gründel
Johannes Gründel

Johannes Gründel erklärt in seine Kolumne Schiedsrichterball bei WahreTabelle das Regelwerk und strittige Szenen der Bundesliga. Er ist selbst Schiedsrichter und stellt sein Fachwissen auch als Mitglied des Kompetenzteams auf WahreTabelle.de zur Verfügung. Im Gespräch mit WahreTabelle-Redakteur Carsten Germann schildert Gründel seine ganz persönliche Sicht auf das Schiedsrichter-Jahr 2015. Mit einigen Überraschungen.

WahreTabelle: Johannes, im abgelaufenen Fußball-Jahr gab es eine Menge Wirbel um die Schiedsrichter. Die Kontroverse ging sogar so weit, dass FC-Sportdirektor Jörg Schmadtke Anfang November eine Art „Krisengipfel“ am „runden Tisch“ forderte – sind die Referee-Leistungen wirklich so schlecht?

Johannes Gründel: Ein solcher runder Tisch, wie ihn Schmadtke vorschlägt, hilft in der aktuellen Situation nicht weiter. Aber klar ist: Mit der Hinrunde können die Schiedsrichter nicht zufrieden sein, dafür wurden zu viele, teils eklatante Fehler gemacht. Auf Schulnoten reduziert würde ich die Hinrunde insgesamt mit einer „4“ bewerten.

WahreTabelle: Das wäre die nächste Frage gewesen... Aber anders: Welches war die aus Deiner Sicht schwerwiegendste Fehlentscheidung der Hinrunde?
Gründel: Eine so eklatante wie vor zwei Jahren bei Hannover 96-FCN (3:3, d. Red.)gab es heuer zum Glück nicht. Deshalb ist es schwer eine einzelne Entscheidung herauszuziehen. Am unverständlichsten war aber wohl der Elfmeter für Bayern gegen Augsburg. Nicht aufgrund der Entscheidung selbst, sondern aufgrund des Zustandekommens und des Zeitpunkts inklusive der Folgen für die Beteiligten…

WahreTabelle: Inwiefern?
Gründel: Die Frage ist hier: Warum hebt Schiedsrichter-Assistent Robert Kempter die Fahne statt über Funk zu agieren? Damit hat er Schiedsrichter Knut Kircher unter Zugzwang gebracht und ihm die Entscheidung aufgedrängt. Den FCA hat das wahrscheinlich einen tapfer erkämpften Punkt bei den Bayern gekostet. Und Kempters Aufstiegschancen in die Bundesliga wurden durch diese Aktion massiv geschmälert.

In der Tat. Diese Szene sorgte bei WahreTabelle für eine relevante Ergebniskorrektur und bot viel Diskussionsstoff...

Das stimmt. Da sind einfach viele Faktoren zusammengekommen.

Das gilt wohl auch für den 1. FC Köln.... Größter Verlierer bei WahreTabelle ist der 1. FC Köln, der auch den medienwirksamen Vorstoß gemacht hat. Wie sehr müssen sich die Kölner tatsächlich im Nachteil sehen?
Tatsächlich hatte der FC bislang wirklich Pech mit den Schiedsrichterentscheidungen. Aber es ist ja logisch, dass es immer einen Verein treffen muss, der am meisten Pech hat. Von solchen medienwirksamen Vorstößen halte ich nichts. Das ist zusätzlicher Druck auf die Unparteiischen, die es auch so schon nicht einfach haben, und kann leicht nach hinten losgehen, weil man als Schiedsrichter sich ja auch nicht nachsagen lassen will, von solchen Parolen beeindruckt zu sein. FC Sportdirektor Jörg Schmadtke und Trainer Peter Stöger sollten sich lieber auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren - dort leisten sie wirklich tolle Arbeit und das braucht ihre volle Energie.

Schiedsrichter Bastian Dankert geriet insbesondere wegen des anerkannten Hand-Treffers von Hannovers Leon Andreasen zum 1:0-Siegtor in Köln in die Kritik. Insgesamt fällte er viele unglückliche Entscheidungen. Inwieweit ist der FIFA-Referee aus Rostock für Dich ein „Verlierer“ des Schiedsrichter-Jahres 2015?
Für mich ist Dankert gar nicht so sehr „Verlierer“ des Jahres 2015. Wenn man sich seine Fehlentscheidungen genauer anschaut, stellt man fest, dass es größtenteils Entscheidungen der Assistenten waren, für die Dankert nichts kann. Auch das Hand-Tor von Andreasen war aus Dankerts Position fast gar nicht zu erkennen. Das wäre ebenfalls eine Situation für den Assistenten gewesen, der ja den optimalen Seiteneinblick hatte.

Welcher Schiedsrichter wäre denn ein „Verlierer“ aus Deiner Sicht? 

Am ehesten die „etablierten“ Schiedsrichter. Florian Meyer und Knut Kircher haben ihren Zenit merklich überschritten, schaffen es aber dennoch unauffällig zu bleiben. Und das leider auf einem Niveau, das nicht ihr eigener Anspruch sein kann. Deniz Aytekin ist in dieser Saison auch nicht gerade vom Glück verfolgt. Bei der U17-WM in Chile waren seine Leistungen nicht berauschend, was ihm die letzten Hoffnungen auf eine Teilnahme an der EURO 2016 gekostet haben dürfte. Auch Schiedsrichter-Kommissionschef Herbert Fandel muss sich einiges an Kritik gefallen lassen.

Welche Kritikpunkte sind das?
Im Schiedsrichterwesen ist unter seiner Amtszeit keine wirkliche Entwicklung erkennbar. Dazu kommen noch diverse Anweisungen, die dem Regelwerk widersprechen. Und um alles wird ein Mantel des Schweigens gehüllt. Einziger Lichtblick ist der Videoblog, der ein guter Einstieg ist, aber nicht das Ende des Weges sein darf. Nur mit Transparenz schafft man es, höhere Akzeptanz für die Schiedsrichter zu erzielen.

Stichwort Transparenz: Mehr als nur Planspiele sind auch die Überlegungen in Sachen „Video-Beweis“ oder „Video-Schiedsrichter“. Herbert Fandel hat sich im November klar für diese technische Hilfe ausgesprochen. Traditionalisten fürchten hingegen, dass ein „Video-Schiri“ den Charakter des Spiels verfälschen würde, andere Kritiker wie der frühere FIFA-Referee Hellmut Krug, den wir bereits im März 2015 in einem Exklusiv-Interview dazu befragen konnten, fordern vor allem eine Abgrenzung der im Video-Beweis zu bewertenden Spielszenen und die Klärung anderer, grundsätzlicher Fragen – wer soll überhaupt im TV-Studio sitzen etc. Für mich persönlich ist das alles noch zu unausgegoren. Wie siehst Du das Thema „Video-Schiedsrichter“ und wie sehr kannst Du die Bedenken der Kritiker verstehen?
Ich muss gestehen, dass sich im vergangenen Jahr meine generelle Ablehnung gegen den Videobeweis aufgeweicht hat. Allerdings fehlt es bislang noch ein einem überzeugenden Konzept: Was macht man mit Situationen, in denen ein Stürmer zu Unrecht wegen Abseits zurückgepfiffen wurde?

Genau. Diese Differenzierung muss gegeben sein…
Exakt. Deshalb wäre die Folge der Einführung eines, wie auch immer gearteten, Videobeweises, dass die Schiedsrichter, das Spiel nicht nur im Zweifel, sondern in allen knappen Situationen laufen lassen, weil der Videobeweis ja diese Situationen bereinigen kann - umgekehrt aber nicht. Wenn das aber eine schwere Verletzung oder eine Rote Karte zur Folge hat, brennt der Baum. Solange dieses Dilemma nicht gelöst wird, kann der Video-Beweis nicht mit völlig gutem Gewissen eingeführt werden.

Kommen wir zu den positiven Aspekten… Augenfällig war für uns bei WahreTabelle, dass die Schlüsselspiele häufig an Tobias Stieler aus Hamburg vergeben wurden. Ist er einer der Gewinner des Jahres?
Definitiv. Er hat es endgültig in die Riege der Deutschen Spitzenschiedsrichter geschafft, was auch seinen internationalen Aufstieg in die UEFA First Group zur Folge hatte. Seine Entwicklung als Schiedsrichter ist beeindruckend. War er zu Beginn seiner Bundesliga-Zeit noch ein Kandidat für mangelnde Spielkontrolle und viele Platzverweise, hat er mittlerweile selbst aufgeheizte Spiele klasse im Griff und löst beinahe alles mit Persönlichkeit statt mit einem Griff zur Brust- oder Gesäßtasche. Man denke nur an das Pokalspiel zwischen Schalke und Mönchengladbach

In dieser Partie haben unsere User Tobias Stieler mit einer tadellosen Vorstellung gesehen...
Stimmt. Doch auch hinter Tobias Stieler gibt es ein paar Schiedsrichter, denen man eine positive Hinrunde attestieren kann…

Welche Schiedsrichter wären hier zu nennen?
Sascha Stegemann hat sich endgültig in der Bundesliga etabliert, Manuel Gräfe hat gezeigt, dass ihn das Relegationsspiel nicht aus der Bahn geworfen hat und er hat darüber hinaus einen souveränen Auftritt im Aktuellen Sport-Studio des ZDF hingelegt. Zu nennen wäre auch Benjamin Brand, der gezeigt hat, dass er zurecht in die erste Liga aufgestiegen ist. Beim Blick an die Seitenlinie fällt einem auch Jan Seidel auf, der zum Jahreswechsel neuer FIFA-Assistent wird. Und auch in der Zweiten Liga positionieren sich einige Schiedsrichter für den Kampf um die Bundesliga-Plätze, die im Sommer frei werden. Mich würde es nicht wundern, wenn in den kommenden Tagen schon ein Vorgriff für die kommende Saison getätigt würde und – wie damals bei Stegemann und Stieler – schon im Winter ein Schiedsrichter aus der 2. Liga nach oben gezogen würde.

Wer sind Deine persönlichen Top-Kandidaten auf die Nachfolge von Meyer und Weiner, die im Sommer 2016 die Altersgrenze für Bundesliga-Schiedsrichter erreichen und ausscheiden werden?
Das ist eine gute Frage. Die Aufsteiger aus der Zweiten Liga vorauszusagen, ist immer eine sehr schwere Sache. Wenn man sich die Ansetzungen so anschaut, fallen die Namen Benjamin Cortus (leitete Leipzig-Freiburg, d. Red.) und Harm Osmers (Nürnberg-Freiburg) ins Auge.

Neu im Feld der Bundesliga-Schiedsrichter ist seit Saisonbeginn Benjamin Brand. Mit 26 schon in der Bundesliga – wie hast Du sein Bundesliga-Debüt gesehen?
Er hat gezeigt, dass ihn die Bundesliga nicht überfordert. Er muss jedoch noch an seiner Persönlichkeit feilen, Spiele wie Mönchengladbach gegen Darmstadt sollten die Ausnahme bleiben. Aber mit seinen 26 Jahren ist er ja noch jung. Wenn er an sich arbeitet, und das hat er bislang zumindest immer getan, hat er das Zeug zum Spitzenschiedsrichter.

Zwei der von Dir bereits angesprochenen, „etablierten“ Schiedsrichter standen in den Relegationsspielen KSC – Hamburger SV und 1860 München – Holstein Kiel im Fokus: Manuel Gräfe und Knut Kircher. Während der Schwabe Kircher mit seinem Schubser gegen 1860-Spieler Christopher Schindler ungewollt einen ,,Weckruf“ für die Löwen absandte, gab es für den Berliner Gräfe und seine unglückliche Freistoßentscheidung kurz vor Spielende zugunsten der Hamburger viel Kritik. Ist der Zorn der Fans – Hamburg wäre ohne diese Entscheidung abgestiegen – auf Gräfe berechtigt bzw. ging Kircher in der Szene mit Schindler aus Schiedsrichtersicht zu weit?
Manuel Gräfe tut mir deshalb wirklich leid. Bis zur 90. Minute hat er das Spiel herausragend geleitet und hatte sich die Note 1,0 verdient und dann macht eine solche Entscheidung alles kaputt! Jetzt wird er auf immer der Schiedsrichter sein, der den HSV in der Liga gehalten hat. Dabei vergessen die Leute aber, dass der Freistoßpfiff noch keine Garantie für das Tor war. Hätte, wie bei den Hamburgern üblich, Rafael van der Vaart den Freistoß geschossen oder Marcelo Diaz den Ball nicht perfekt getroffen oder Karlsruhe einen Verteidiger auf die Linie gestellt, wäre der HSV voraussichtlich abgestiegen. Somit hätte sich niemand über diese Entscheidung echauffiert und Gräfe hätte seine Top-Note bekommen.

Wie siehst Du die nach dem Relegationsspiel 1860 – Kiel auf allen Kanälen gezeigte Szene mit Knut Kircher?
Kircher ging in der Szene tatsächlich etwas zu weit. Unter der Anspannung einer Relegation, bei der der Druck nochmal erheblich höher ist als bei einem normalen Bundesliga-Spiel, ist das aber nachvollziehbar. Schiedsrichter sind schließlich auch nur Menschen und sie haben dementsprechende Emotionen. Als Schindler dann kam und „nervte“, ist Kircher dann der Kragen geplatzt. Sollte nicht passieren, ist aber verständlich! Und damit hat er sich bei den Spielern definitiv Respekt und Autorität verschafft...

Schiedsrichter Knut Kircher strahlt aus meiner Sicht als Beobachter – ich schaue mir für WahreTabelle jedes BL-Spiel an – nach eine positive, natürliche Autorität aus. Bei anderen Schiedsrichtern wie Deniz Aytekin oder Michael Weiner definiert sich diese Autorität dagegen, wie ich finde, eher negativ. Eher mit einem Hang zur Arroganz und einer, so mein Eindruck, harschen Kommunikation mit den Spielern und Trainern…
Bei Michael Weiner war das vor der Verletzung der Fall, ich habe aber den Eindruck, dass er in dieser Zeit an sich gearbeitet hat. Mittlerweile sieht man ihn regelmäßiger lächeln. Bei Aytekin bin ich da anderer Meinung als Du: Aytekins Autorität rührt, wie bei Knut Kircher, von seiner Körpergröße her. Einen „Imperator-Stil“ kann man ihm aber nicht vorwerfen. Das ist generell eine Entwicklung, die man in den vergangenen Jahren im Schiedsrichterwesen beobachten kann: Die Schiedsrichter versuchen sich ihre Autorität nicht mehr über Drohungen oder Arroganz zu verschaffen, sondern viel mehr über freundlichen Umgang mit den Spielern. Der letzte Vertreter der „alten Schule“ ist Wolfgang Stark, doch auch ihn konnte man am Platz schon lachen sehen.

Klingt nach Altersmilde...
Nein, mehr eine allgemeine Entwicklung im Schiedsrichterwesen. Und diese ist auch begrüßenswert. (cge).

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„Zwayer ist ein Gewinner des Jahres“

Aktuelle Umfrage – Stimmt ab!
Nach dem Macho-Spruch von Demirbay – Was haltet Ihr von „kreativen Strafen“ für Fußballprofis?

Johannes Gründel erklärt in seine Kolumne Schiedsrichterball bei WahreTabelle das Regelwerk und strittige Szenen der Bundesliga. Er ist selbst Schiedsrichter und stellt sein Fachwissen auch als Mitglied des Kompetenzteams auf WahreTabelle.de zur Verfügung. Im Gespräch mit WahreTabelle-Redakteur Carsten Germann schildert Gründel seine ganz persönliche Sicht auf das Schiedsrichter-Jahr 2015. Mit einigen Überraschungen.

WahreTabelle: Johannes, im abgelaufenen Fußball-Jahr gab es eine Menge Wirbel um die Schiedsrichter. Die Kontroverse ging sogar so weit, dass FC-Sportdirektor Jörg Schmadtke Anfang November eine Art „Krisengipfel“ am „runden Tisch“ forderte – sind die Referee-Leistungen wirklich so schlecht?

Johannes Gründel: Ein solcher runder Tisch, wie ihn Schmadtke vorschlägt, hilft in der aktuellen Situation nicht weiter. Aber klar ist: Mit der Hinrunde können die Schiedsrichter nicht zufrieden sein, dafür wurden zu viele, teils eklatante Fehler gemacht. Auf Schulnoten reduziert würde ich die Hinrunde insgesamt mit einer „4“ bewerten.

WahreTabelle: Das wäre die nächste Frage gewesen... Aber anders: Welches war die aus Deiner Sicht schwerwiegendste Fehlentscheidung der Hinrunde?
Gründel: Eine so eklatante wie vor zwei Jahren bei Hannover 96-FCN (3:3, d. Red.)gab es heuer zum Glück nicht. Deshalb ist es schwer eine einzelne Entscheidung herauszuziehen. Am unverständlichsten war aber wohl der Elfmeter für Bayern gegen Augsburg. Nicht aufgrund der Entscheidung selbst, sondern aufgrund des Zustandekommens und des Zeitpunkts inklusive der Folgen für die Beteiligten…

WahreTabelle: Inwiefern?
Gründel: Die Frage ist hier: Warum hebt Schiedsrichter-Assistent Robert Kempter die Fahne statt über Funk zu agieren? Damit hat er Schiedsrichter Knut Kircher unter Zugzwang gebracht und ihm die Entscheidung aufgedrängt. Den FCA hat das wahrscheinlich einen tapfer erkämpften Punkt bei den Bayern gekostet. Und Kempters Aufstiegschancen in die Bundesliga wurden durch diese Aktion massiv geschmälert.

In der Tat. Diese Szene sorgte bei WahreTabelle für eine relevante Ergebniskorrektur und bot viel Diskussionsstoff...

Das stimmt. Da sind einfach viele Faktoren zusammengekommen.

Das gilt wohl auch für den 1. FC Köln.... Größter Verlierer bei WahreTabelle ist der 1. FC Köln, der auch den medienwirksamen Vorstoß gemacht hat. Wie sehr müssen sich die Kölner tatsächlich im Nachteil sehen?
Tatsächlich hatte der FC bislang wirklich Pech mit den Schiedsrichterentscheidungen. Aber es ist ja logisch, dass es immer einen Verein treffen muss, der am meisten Pech hat. Von solchen medienwirksamen Vorstößen halte ich nichts. Das ist zusätzlicher Druck auf die Unparteiischen, die es auch so schon nicht einfach haben, und kann leicht nach hinten losgehen, weil man als Schiedsrichter sich ja auch nicht nachsagen lassen will, von solchen Parolen beeindruckt zu sein. FC Sportdirektor Jörg Schmadtke und Trainer Peter Stöger sollten sich lieber auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren - dort leisten sie wirklich tolle Arbeit und das braucht ihre volle Energie.

Schiedsrichter Bastian Dankert geriet insbesondere wegen des anerkannten Hand-Treffers von Hannovers Leon Andreasen zum 1:0-Siegtor in Köln in die Kritik. Insgesamt fällte er viele unglückliche Entscheidungen. Inwieweit ist der FIFA-Referee aus Rostock für Dich ein „Verlierer“ des Schiedsrichter-Jahres 2015?
Für mich ist Dankert gar nicht so sehr „Verlierer“ des Jahres 2015. Wenn man sich seine Fehlentscheidungen genauer anschaut, stellt man fest, dass es größtenteils Entscheidungen der Assistenten waren, für die Dankert nichts kann. Auch das Hand-Tor von Andreasen war aus Dankerts Position fast gar nicht zu erkennen. Das wäre ebenfalls eine Situation für den Assistenten gewesen, der ja den optimalen Seiteneinblick hatte.

Welcher Schiedsrichter wäre denn ein „Verlierer“ aus Deiner Sicht? 

Am ehesten die „etablierten“ Schiedsrichter. Florian Meyer und Knut Kircher haben ihren Zenit merklich überschritten, schaffen es aber dennoch unauffällig zu bleiben. Und das leider auf einem Niveau, das nicht ihr eigener Anspruch sein kann. Deniz Aytekin ist in dieser Saison auch nicht gerade vom Glück verfolgt. Bei der U17-WM in Chile waren seine Leistungen nicht berauschend, was ihm die letzten Hoffnungen auf eine Teilnahme an der EURO 2016 gekostet haben dürfte. Auch Schiedsrichter-Kommissionschef Herbert Fandel muss sich einiges an Kritik gefallen lassen.

Welche Kritikpunkte sind das?
Im Schiedsrichterwesen ist unter seiner Amtszeit keine wirkliche Entwicklung erkennbar. Dazu kommen noch diverse Anweisungen, die dem Regelwerk widersprechen. Und um alles wird ein Mantel des Schweigens gehüllt. Einziger Lichtblick ist der Videoblog, der ein guter Einstieg ist, aber nicht das Ende des Weges sein darf. Nur mit Transparenz schafft man es, höhere Akzeptanz für die Schiedsrichter zu erzielen.

Stichwort Transparenz: Mehr als nur Planspiele sind auch die Überlegungen in Sachen „Video-Beweis“ oder „Video-Schiedsrichter“. Herbert Fandel hat sich im November klar für diese technische Hilfe ausgesprochen. Traditionalisten fürchten hingegen, dass ein „Video-Schiri“ den Charakter des Spiels verfälschen würde, andere Kritiker wie der frühere FIFA-Referee Hellmut Krug, den wir bereits im März 2015 in einem Exklusiv-Interview dazu befragen konnten, fordern vor allem eine Abgrenzung der im Video-Beweis zu bewertenden Spielszenen und die Klärung anderer, grundsätzlicher Fragen – wer soll überhaupt im TV-Studio sitzen etc. Für mich persönlich ist das alles noch zu unausgegoren. Wie siehst Du das Thema „Video-Schiedsrichter“ und wie sehr kannst Du die Bedenken der Kritiker verstehen?
Ich muss gestehen, dass sich im vergangenen Jahr meine generelle Ablehnung gegen den Videobeweis aufgeweicht hat. Allerdings fehlt es bislang noch ein einem überzeugenden Konzept: Was macht man mit Situationen, in denen ein Stürmer zu Unrecht wegen Abseits zurückgepfiffen wurde?

Genau. Diese Differenzierung muss gegeben sein…
Exakt. Deshalb wäre die Folge der Einführung eines, wie auch immer gearteten, Videobeweises, dass die Schiedsrichter, das Spiel nicht nur im Zweifel, sondern in allen knappen Situationen laufen lassen, weil der Videobeweis ja diese Situationen bereinigen kann - umgekehrt aber nicht. Wenn das aber eine schwere Verletzung oder eine Rote Karte zur Folge hat, brennt der Baum. Solange dieses Dilemma nicht gelöst wird, kann der Video-Beweis nicht mit völlig gutem Gewissen eingeführt werden.

Kommen wir zu den positiven Aspekten… Augenfällig war für uns bei WahreTabelle, dass die Schlüsselspiele häufig an Tobias Stieler aus Hamburg vergeben wurden. Ist er einer der Gewinner des Jahres?
Definitiv. Er hat es endgültig in die Riege der Deutschen Spitzenschiedsrichter geschafft, was auch seinen internationalen Aufstieg in die UEFA First Group zur Folge hatte. Seine Entwicklung als Schiedsrichter ist beeindruckend. War er zu Beginn seiner Bundesliga-Zeit noch ein Kandidat für mangelnde Spielkontrolle und viele Platzverweise, hat er mittlerweile selbst aufgeheizte Spiele klasse im Griff und löst beinahe alles mit Persönlichkeit statt mit einem Griff zur Brust- oder Gesäßtasche. Man denke nur an das Pokalspiel zwischen Schalke und Mönchengladbach

In dieser Partie haben unsere User Tobias Stieler mit einer tadellosen Vorstellung gesehen...
Stimmt. Doch auch hinter Tobias Stieler gibt es ein paar Schiedsrichter, denen man eine positive Hinrunde attestieren kann…

Welche Schiedsrichter wären hier zu nennen?
Sascha Stegemann hat sich endgültig in der Bundesliga etabliert, Manuel Gräfe hat gezeigt, dass ihn das Relegationsspiel nicht aus der Bahn geworfen hat und er hat darüber hinaus einen souveränen Auftritt im Aktuellen Sport-Studio des ZDF hingelegt. Zu nennen wäre auch Benjamin Brand, der gezeigt hat, dass er zurecht in die erste Liga aufgestiegen ist. Beim Blick an die Seitenlinie fällt einem auch Jan Seidel auf, der zum Jahreswechsel neuer FIFA-Assistent wird. Und auch in der Zweiten Liga positionieren sich einige Schiedsrichter für den Kampf um die Bundesliga-Plätze, die im Sommer frei werden. Mich würde es nicht wundern, wenn in den kommenden Tagen schon ein Vorgriff für die kommende Saison getätigt würde und – wie damals bei Stegemann und Stieler – schon im Winter ein Schiedsrichter aus der 2. Liga nach oben gezogen würde.

Wer sind Deine persönlichen Top-Kandidaten auf die Nachfolge von Meyer und Weiner, die im Sommer 2016 die Altersgrenze für Bundesliga-Schiedsrichter erreichen und ausscheiden werden?
Das ist eine gute Frage. Die Aufsteiger aus der Zweiten Liga vorauszusagen, ist immer eine sehr schwere Sache. Wenn man sich die Ansetzungen so anschaut, fallen die Namen Benjamin Cortus (leitete Leipzig-Freiburg, d. Red.) und Harm Osmers (Nürnberg-Freiburg) ins Auge.

Neu im Feld der Bundesliga-Schiedsrichter ist seit Saisonbeginn Benjamin Brand. Mit 26 schon in der Bundesliga – wie hast Du sein Bundesliga-Debüt gesehen?
Er hat gezeigt, dass ihn die Bundesliga nicht überfordert. Er muss jedoch noch an seiner Persönlichkeit feilen, Spiele wie Mönchengladbach gegen Darmstadt sollten die Ausnahme bleiben. Aber mit seinen 26 Jahren ist er ja noch jung. Wenn er an sich arbeitet, und das hat er bislang zumindest immer getan, hat er das Zeug zum Spitzenschiedsrichter.

Zwei der von Dir bereits angesprochenen, „etablierten“ Schiedsrichter standen in den Relegationsspielen KSC – Hamburger SV und 1860 München – Holstein Kiel im Fokus: Manuel Gräfe und Knut Kircher. Während der Schwabe Kircher mit seinem Schubser gegen 1860-Spieler Christopher Schindler ungewollt einen ,,Weckruf“ für die Löwen absandte, gab es für den Berliner Gräfe und seine unglückliche Freistoßentscheidung kurz vor Spielende zugunsten der Hamburger viel Kritik. Ist der Zorn der Fans – Hamburg wäre ohne diese Entscheidung abgestiegen – auf Gräfe berechtigt bzw. ging Kircher in der Szene mit Schindler aus Schiedsrichtersicht zu weit?
Manuel Gräfe tut mir deshalb wirklich leid. Bis zur 90. Minute hat er das Spiel herausragend geleitet und hatte sich die Note 1,0 verdient und dann macht eine solche Entscheidung alles kaputt! Jetzt wird er auf immer der Schiedsrichter sein, der den HSV in der Liga gehalten hat. Dabei vergessen die Leute aber, dass der Freistoßpfiff noch keine Garantie für das Tor war. Hätte, wie bei den Hamburgern üblich, Rafael van der Vaart den Freistoß geschossen oder Marcelo Diaz den Ball nicht perfekt getroffen oder Karlsruhe einen Verteidiger auf die Linie gestellt, wäre der HSV voraussichtlich abgestiegen. Somit hätte sich niemand über diese Entscheidung echauffiert und Gräfe hätte seine Top-Note bekommen.

Wie siehst Du die nach dem Relegationsspiel 1860 – Kiel auf allen Kanälen gezeigte Szene mit Knut Kircher?
Kircher ging in der Szene tatsächlich etwas zu weit. Unter der Anspannung einer Relegation, bei der der Druck nochmal erheblich höher ist als bei einem normalen Bundesliga-Spiel, ist das aber nachvollziehbar. Schiedsrichter sind schließlich auch nur Menschen und sie haben dementsprechende Emotionen. Als Schindler dann kam und „nervte“, ist Kircher dann der Kragen geplatzt. Sollte nicht passieren, ist aber verständlich! Und damit hat er sich bei den Spielern definitiv Respekt und Autorität verschafft...

Schiedsrichter Knut Kircher strahlt aus meiner Sicht als Beobachter – ich schaue mir für WahreTabelle jedes BL-Spiel an – nach eine positive, natürliche Autorität aus. Bei anderen Schiedsrichtern wie Deniz Aytekin oder Michael Weiner definiert sich diese Autorität dagegen, wie ich finde, eher negativ. Eher mit einem Hang zur Arroganz und einer, so mein Eindruck, harschen Kommunikation mit den Spielern und Trainern…
Bei Michael Weiner war das vor der Verletzung der Fall, ich habe aber den Eindruck, dass er in dieser Zeit an sich gearbeitet hat. Mittlerweile sieht man ihn regelmäßiger lächeln. Bei Aytekin bin ich da anderer Meinung als Du: Aytekins Autorität rührt, wie bei Knut Kircher, von seiner Körpergröße her. Einen „Imperator-Stil“ kann man ihm aber nicht vorwerfen. Das ist generell eine Entwicklung, die man in den vergangenen Jahren im Schiedsrichterwesen beobachten kann: Die Schiedsrichter versuchen sich ihre Autorität nicht mehr über Drohungen oder Arroganz zu verschaffen, sondern viel mehr über freundlichen Umgang mit den Spielern. Der letzte Vertreter der „alten Schule“ ist Wolfgang Stark, doch auch ihn konnte man am Platz schon lachen sehen.

Klingt nach Altersmilde...
Nein, mehr eine allgemeine Entwicklung im Schiedsrichterwesen. Und diese ist auch begrüßenswert. (cge).

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