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Schiedsrichterball: Im Champions-League-Finale
Kolumne: Johannes Gründel erklärt bei WahreTabelle das Regelwerk und strittige Szenen der Bundesliga.
Es ist – neben dem WM-Finale – für jeden Schiedsrichter das Wunschziel: Das Finale der Champions League. In diesem Jahr wurde diese Ehre Cüneyt Cakir aus der Türkei zuteil.
Er entschied sich gleich zu Beginn für eine großzügige Linie. Bei einer spielstarken Mannschaft wie dem FC Barcelona ist das sicherlich keine schlechte Idee. Bedenken konnte man nur aufgrund des Gegners von Juventus Turin, der sich über disziplinierte Abwehrarbeit und Zweikampfstärke den Henkelpott zu verdienen suchte. Etwas übertrieben hat es dabei Arturo Vidal. Der Chilene beging in den ersten 25 Minuten vier durchaus nicht zu vernachlässigende Fouls. Bereits nach dem zweiten wurde er von Cakir verwarnt. Nach dem vierten Foul war dann auf einmal Schluss, Vidal fiel nicht mehr mit Regelübertretungen auf. Grund dafür ist, dass Cakir ihm im Vorbeigehen – von den meisten Zuschauern weitgehend unbemerkt - klargemacht hat, wie dicht er vor einem Platzverweis steht.
Nachdem Vidal aus Schiedsrichtersicht kaltgestellt war, beruhigte sich das Spiel ebenfalls. Die nächste strittige Szene ließ bis zur 67. Minute auf sich warten. Dani Alves und Paul Pogba hatten einander so lieb, dass sie sich gegenseitig festhielten und schlussendlich aufeinander fielen. Hier konnte Cakir im Endeffekt nicht falsch entscheiden. Pogba hielt zuerst, deshalb wäre Freistoß für Barca regelkonform gewesen. Alves hielt intensiver und länger, weshalb man auch entscheiden hätte können, dass nur dieses Halten foulwürdig ist. Daher wäre auch Elfmeter für Juventus möglich gewesen. Gerade in einem Finale muss ein solcher Elfmeterpfiff aber wohl überlegt sein, die Hürde für einen Strafstoß ist so jedenfalls die Praxis, höher als für einen Freistoß in der eigenen Hälfte. Das findet zwar keine Grundlage in den Regeln, ist aber aufgrund der Verhältnismäßigkeit gängige Praxis. Deshalb entschied Cakir, dass gar kein Regelverstoß vorlag, und ließ das Spiel laufen. Diese Entscheidung war auch gut so, wenn man sich diese common praxis vor Augen führt.
Daneben lag er aber in der 71. Minute, als Neymar sich selbst an der Hand anköpfte und von dort der Ball ins Tor sprang. Auch wenn es sich paradox anhört: Dieses Tor war regulär, obwohl es mit der Hand erzielt wurde. Das Handspiel des Brasilianers war nämlich offensichtlich unabsichtlich, was man besonders gut daran erkennt, dass sein Arm nicht unter Spannung steht: Wer damit rechnet, dass der Ball an die Hand gehen könnte, spannt dort die Muskeln an. Wer aber nicht mal damit rechnet, dass der Ball an die Hand gehen könnte, kann den Ball auch nicht absichtlich mit der Hand spielen. Doch gerade diese Absicht, wobei ein billigendes In Kaufnehmen ausreicht, wird von der Regel für ein strafbares Handspiel vorausgesetzt. Deshalb lag das Gespann, namentlich der Torrichter, der Cakir das Handspiel signalisiert hatte, Hüseyin Göçek, mit dieser Entscheidung daneben. Im Übrigen war es auch inkonsequent, Neymar nicht zu verwarnen: Unterstellt man ihm nämlich Absicht, so ist es gleichzeitig unsportlich, ein Tor durch ein absichtliches Handspiel erzielen zu wollen. Dies ist als unsportliches Handspiel mit der Gelben Karte zu bestrafen.
Im weiteren Verlauf wurde das Spiel etwas hektischer, wobei Cakir die Übersicht nicht verlor. Er hätte Pogba, ebenso wie in der ersten Halbzeit Vidal, durchaus mit Gelb-Rot des Feldes verweisen können. Allerdings setzte sich der Trend fort, den man in den verschiedensten Endspielen der letzten fünf Jahre schon erahnen konnte: Die Rote Karte ist wie festgeklebt in den Taschen der Schiedsrichter und wird nur herausgezogen, wenn es wirklich keine andere Wahl mehr gibt. Das scheint von den Verbänden auch so gewollt zu sein, da sich dieser Trend mittlerweile bei verschiedensten, auch kleinlicheren Schiedsrichtern beobachten lässt. Das muss man nicht unbedingt gut finden – Leitlinien der Verbände muss man aber gegenüber den Schiedsrichtern akzeptieren. Auch wenn man sich bei manchen (anderen) Leitlinien schwer tut…
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@ hellsearcher
Zitat von hellsearcher
Naja, man darf sich als Schiedsrichter auch ruhig akriv gegen schwachsinnige Regeln einsetzen und das Handspiel von Neymar gehört für mich dazu. Das absolut unabsichtliche Handspiel irritiert den Torwart und ändert die Flugkurve, wodurch der Keeper schon geschlagen ist. Deshalb war das Abpfeifen für mich in Ordnung, wenn auch falsch.
Nein, das darf man als Schiedsrichter natürlich nicht. Wenn man sich dabei erwischen lässt, muss man seine Karriere beenden und das Spiel wird wiederholt.
Die Regel ist ja nicht ohne Grund so, wie sie ist. Das Regelwerk allgemein will Tore fördern und nicht vereiteln. Deshalb gibt es passives Abseits, Elfmeter, Vorteil und die Notbremsen-Regelung. Allgemein sollen die Regeln nur dann eingreifen, wenn sie es wirklich müssen (so jedenfalls die ursprüngliche Konzeption, aus der auch die Handspiel-Regelung stammt - Freilich verlieren die Regelmacher in letzter Zeit dieses Ziel immer wieder aus dem Auge, z.B. bei der Gelben Karte für das Trikotausziehen). Deshalb ist das Handspiel gerade nur auf absichtliches Handspiel beschränkt. Dabei hat man auch vor Augen gehabt, dass ein Tor auch mit der Hand regelkonform erzielt werden kann. Das ist eine Grundsatz-Entscheidung des Regelwerks, das der Schiedsrichter natürlich so akzeptieren muss und worüber er sich nicht einfach hinwegsetzen darf. Zumal es ja auch gute Gründe gibt, das Tor als regulär anzuerkennen: Neymar kann man ja außer einer technischen Unzulänglichkeit nichts vorwerfen. Solche Unzulänglichkeiten sind aber nicht verboten (Zum Glück, sonst könnte ich ja nie wieder Fußball spielen... ). Neymar agiert hier nicht mit einer bösen Einstellung, stattdessen ist das einfach nur blöd gelaufen.
Da kann der Schiedsrichter die grundsätzliche Entscheidung des Regelwerks nicht einfach durch sein eigenes subjektives Gerechtigkeitsempfinden ersetzen. Wie sollen die Spieler sich sonst darauf einstellen, was der Schiedsrichter entscheiden wird?
Ceterum censeo bellum esse finiendum ☮️
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