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Schiedsrichterball: Die letzte Entscheidung
Kolumne: Johannes Gründel erklärt bei WahreTabelle das Regelwerk und strittige Szenen der Bundesliga.
Der Zweitliga-Spitzenreiter FC Ingolstadt konnte am vergangenen Freitag sein Spiel gegen Düsseldorf (3:2) in buchstäblich letzter Sekunde gewinnen. Fünf Minuten der Nachspielzeit waren bereits vorbei, als Marvin Matip einen Freistoß von Pascal Groß einköpfte. Schiedsrichter Dr. Jochen Drees wurde daraufhin in diversen sozialen Netzwerken aufgrund der ungewöhnlich langen Nachspielzeit heftig beschimpft. Anlass genug, sich näher zu betrachten, wie ein Schiedsrichter seine Nachspielzeit festlegt. Auch vor dem Hintergrund des Last-Minute-Siegtreffers von RBL-Torwart Fabio Coltorti an diesem Freitagabend für Leizpig gegen den SV Darmstadt 98 (2:1).
Im Zusammenhang mit der Nachspielzeit gibt es ziemlich viele Mythen. Besonders verbreitet ist die Behauptung, es gäbe für jedes Tor eine Minute Nachspielzeit oder wahlweise für jedes Tor und jede Auswechslung 30 Sekunden. Die Wahrheit ist jedoch eine andere: Solche klaren Ansagen gibt es nicht. Viel mehr ist die Nachspielzeit von einem großen Ermessen des Schiedsrichters geprägt, letzten Endes gibt es nur drei Vorgaben.
Erstens: Jede Halbzeit bekommt ihre eigene Nachspielzeit. Verletzungsunterbrechungen in der ersten Halbzeit müssen auch in dieser nachgespielt werden, nicht erst nach 90 Minuten.
Zweitens: Verloren gegangene Zeit muss nachgespielt werden, vergeudete Zeit nur im Rahmen der Vorteilsregelung: Wenn eine Mannschaft also über 40 Minuten den Ein-Tor-Vorsprung mit massivem Zeitspiel versucht hat zu verteidigen, in den letzten fünf Minuten aber noch zwei Tore kassiert hat, wird diese vergeudete Zeit nicht nachgespielt. Das macht auch Sinn, andernfalls würde die zeitspielende Mannschaft ja auch noch für ihr Zeitspiel belohnt werden. Verloren gegangene Zeit hingegen sind beispielsweise Verletzungsunterbrechungen oder Spielunterbrechungen durch Pyrotechnik.
Drittens: Angezeigte Nachspielzeit darf nicht verkürzt, sondern höchstens verlängert werden, beispielsweise bei Verletzungsunterbrechungen oder massivem Zeitspiel in der Nachspielzeit.
Diese Richtlinien sind weltweit gleich. Warum also unterscheiden sich die Nachspielzeiten im internationalen Vergleich? Der Knackpunkt ist die Interpretation der „Verloren gegangenen Zeit“. Während international darunter auch Auswechslungen, Tore, etc. fallen, gilt in Deutschland die Leitlinie: „Auswechslungen und Tore gehören zum Spiel“. Sofern damit nicht Zeit vergeudet wird, wird diese Zeit also nicht nachgespielt. Darüber hinaus denkt man in Deutschland – entgegen dem üblichen Klischee – in diesem Zusammenhang sehr praxisnah: Wenn die Partie entschieden ist, wird auf Nachspielzeit verzichtet. Welche Mannschaft will bei 0:3 auch noch weitere drei Minuten am Nasenring durch die Arena getrieben werden?
Die Vorgaben sind dennoch sehr vage. Dem Schiedsrichter wird hier ein großer Ermessensspielraum eingeräumt. Am vergangenen Spieltag konnte man in einigen knappen Spielen eine für deutsche Verhältnisse relativ hohe Nachspielzeit beobachten. Es bleibt abzuwarten, ob das ein einmaliges Ereignis oder der Beginn eines Trends in Richtung internationale Angleichung ist. Aber eines steht fest: Eine Mannschaft, die es in 90 Minuten nicht geschafft hat, mehr Tore zu schießen als der Gegner, sollte sich vorrangig auf andere Dinge konzentrieren als auf die Frage, ob sie eine oder drei Minuten an zusätzlicher Chance bekommt. Und da im durchschnittlichen Fußballspiel der Ball keine 60 Minuten im Spiel ist, lässt sich theoretisch bis zu 30 Minuten Nachspielzeit alles begründen…
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